Zur Diskussion Über den Begriff ‘Tochtersprache’ im 19. Jahrhundert

Georgia Veldre
Akademie der Wissenschaften, Berlin
Zusammenfassung

Der Begriff ‘Tochtersprache’ spielt in der Sprachdiskussion des 19. Jahrhunderts eine eher untergeordnete Rolle, seine inhaltliche Bestimmung ist jedoch in Zusammenhang mit dem Orientierungswechsel innerhalb der vergleichenden Sprachbetrachtung von Interesse. Vor allem durch die Abgrenzung gegenüber dem Komplementärbegriff ‘Schwestersprache’ u.a. durch Franz Bopp gewinnt er deutlich an Präzision. Innerhalb des von den beiden Schlegel ausgehenden Sprachenklassifikationsmodells ist insbesondere die Bestimmung des Verhältnisses von ‘Tochtersprachen’ zum analytischen Sprachtyp problematisch. In einem anderen Kontext dient die Bezeichnung ‘Tochtersprache’ in direkter Abbildung politischer Auffassungen auf die Sprachbetrachtung dazu, das Französische als vom Latein abgeleitete Sprache insbesondere dem ‘ursprünglichen’ Deutschen gegenüberzustellen. Die inhaltliche Reduzierung auf den oftmals ideologisch geladenen Begriff des Verfalls, die nach 1850 insbesondere durch Heymann Steinthal erfolgt, führt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer kritischen Bewertung des Tochtersprachenbegriffs, der in einem auf nachweisbare ‘Fakten’ orientierten sprachwissenschaftlichen Konzept an Bedeutung verliert. Einen wesentlichen Einfluß auf diese Diskussion haben die Vertreter der in Deutschland noch jungen Neuphilologien.

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