Johann Andreas Schmeller Zwischen Universeller Lauttheorie und Empirischer Dialektlautkunde
Zusammenfassung
Johann Andreas Schmeller (1785–1852) gilt als Begründer der wissenschaftlichen Mundartforschung. Nach einem Zeitalter fast ausschließlich lexikographischer Beschäftigung mit Mundarten schreibt er mit seinen “Mundarten Bayerns” von 1821 die erste vollständige dialektale Flexionslehre und die erste Lautlehre nicht nur eines Dialekts, sondern des Germanischen überhaupt. Da die Mundartforschung bis weit ins 20. Jahrhundert hinein den historisch-vergleichenden Weg beschritt, gingen von Schmellers grundlegenden theoretischen und methodischen Ansätzen nur jene in die Forschungsgeschichte ein, die sich diesem Paradigma einordnen ließen. Dabei wurde zwangsläufig übersehen, daß Schmeller in seiner Lautkunde auf einem Wissensfundament steht, zu dem antike Klassifikationsversuche ebenso gehören wie Aussprachephysiologien und -pathologien des 18. Jahrhunderts, die aufgeklärte französische Grammatik und die Sprachpädagogik mit ihrer ‘Lautiermethode’. Nur so ist der starke universalistische und theoretische Strang zu erklären, der durch Schmellers empirische Dialektlautkunde läuft, und der wissenschaftsgeschichtliche Sprung zu ermessen, den Schmeller mit seiner explizit auf ‘Aussprache’ abgestellten Lehre vollzieht. ‘Buchstaben’ kommen darin nur als Transkripte für Laute vor. Mit Schmeller gelingt es damit endlich einmal einem Grammatiker, die Lautverhältnisse einer Einzelsprache umfassend und mit einem Apparat zu beschreiben, der den Ansprüchen einer wissenschaftlichen Phonetik genügt. Sein sprachgeschichtliches Wissen um den ‘organischen’ Zusammenhang von Lauten rezenter Dialekte und deren (‘etymologischen’) Vorstufen nutzt Schmeller weniger für eine lautgeschichtliche Darstellung denn als systematisches tertium comparationis für den synchronischen Vergleich von dialektalen Aussprachevarianten.