‘Innere Sprachform’ Humboldts Grenzbegriff, Steinthals Begriffsgrenze
Zusammenfassung
Der vorliegende Aufsatz untersucht die Frage nach dem besonderen Beitrag Heymann Steinthals (1823–1899) zur Interpretation der Sprachauffassung Wilhelm von Humboldts (1767–1835). Er argumentiert, daß bei seinem fast lebenslänglichen Bemuhen, den wirklichen hinter dem idealen, ‘mystischen’ und genialen Humboldt zu erhellen, Steinthal den Versuch untemimmt, Humboldts Gegensatz zwischen Empirie und Theorie zu iiberwinden. Dies soil auf dem nach seiner Begegnung mit Moritz Lazarus (1824–1903) eingeschlagenen sprachpsychologischen Weg geschehen. Humboldts ‘mystischer Dualismus’ – für Steinthal ein Überrest der kantischen Philosophic – wird aber einfach durch einen herbartisierten Hegelismus ersetzt: In seinem Versuch, Humboldt dialektisch zu vollenden, seinen Dualismus dadurch aufzulösen, daß er die Empirie gegenüber der Theorie die Oberhand gewinnen läßt, um Humboldt einen guten empirischen Schritt weiterzubringen, fällt Steinthal im Endergebnis einen ganzen metaphyischen Schritt zurück, indem er das trennt, was Humboldt zusammenhält, und dabei zu einem substantiellen Dualismus zwischen Außerem und Innerem, ja zu einem Vorrang des Inneren, Geistlichen vor dem Außeren, Sinnlichen gelangt. Hauptpunkt der unuberbrückbaren Distanz zwischen Steinthal und Humboldt ist der Begriff der ‘inneren Sprachform’. Während die ‘innere Sprachform’ bei Humboldt einen Grenzbegriff darstellt, so erweist sie sich paradoxerweise bei Steinthal als eine Begriffsgrenze, die letzlich der Grenze seines Psychologismus gleichkommt.