Richard Böckh (1824–1907): Sprachenstatistik zwischen Nationalitätsprinzip und Nationalstaat
Zusammenfassung
Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist das sprachenstatistische und nationalitätenpolitische Werk des preußischen Statistikers Richard Böckh (1824–1907), insbesondere der Aufsatz “Über die statistische Bedeutung der Volksprache” (1866), in dem Böckh die Ansicht vertritt, allein die Sprache definiere die Nationalität, und das Buch Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten (1869), das u.a. erstmals einen Katalog von Sprachenrechten für Minderheiten enthält. Der Beitrag verfolgt die Rezeption von Böckhs Werk während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, als Böckhs Konzeptionen in der deutschen Öffentlichkeit als moralische Rechtfertigung der Annexion von Elsass-Lothringen verstanden wurden, sowie im Zusammenhang mit der preußischen Geschäftssprachenfrage der Jahre 1873–1876. Abschließend werden noch einige spätere Positionen und Aktivitäten Böckhs beleuchtet, nämlich sein Engagement für das Auslandsdeutschtum im Rahmen des von ihm 1881 mitbegründeten Allgemeinen Deutschen Schulvereins sowie sein Eintreten gegen den Missbrauch von Statistiken im Berliner Antisemitismusstreit um 1880. Obwohl zweifellos mutig, zeigt Letzteres doch auch, wie sehr der einst so populäre sprachbezogene Nationsbegriff zehn Jahre nach der Reichsgründung schon in die Defensive geraten war.