Besprechung
Thorsten Unger, Brigitte Schultze & Horst Turk, Hrsg. Differente Lachkulturen?: Fremde Komik und ihre Übersetzung
Tübingen: Gunter Narr, 1995. 327 Seiten ISBN 3-8233-4038-7 DM 78 (Forum Modernes Theater, 18).

Rezensiert von Rainer Kohlmayer
Mainz
Inhaltsverzeichnis

Der Göttinger Sonderforschungsbereich "Die literarische Übersetzung" (Abteilung Drama und Theater) legt hier nach dem von Fritz Paul et al. 1993 herausgegebenen [ p. 167 ]Band zum zweiten Mal einen Sammelband zum Problem der Komikübersetzung vor. Das einheitliche Rahmenthema lautet, inwiefern Originale und Übersetzungen jeweils an spezifische "Lachkulturen" angepaßt sind bzw. translatorisch angepaßt werden (müssen?). Wenn man aber Bachtins auf den mittelalterlichen Volkskarneval und seine literarische Fortsetzung bei Rabelais gemünzten Begriff der "Lachkultur" aus seinem Kontext herauslöst und zu einem generellen "Deutungshorizont" (S. 11) ausweitet, wie Thorsten Unger dies im Einleitungsessay vorschlagt, wird die "Lachkultur" zu einem reichlich vagen Konzept: "mentalitätsbedingte Dispositionen" (S.10), "gewisse soziale, regionale, nationale oder historische Vorlieben für bestimmte komisierende Verfahrensweisen" (S. 13). Das klingt doch sehr nach inflationärer Beliebigkeit eines Begriffes, der alle charakteristischen intensionalen Merkmale eingebüßt hat. Der Versuch, den Begriff der "Lachkultur" gegenüber der Gesamtkultur abzugrenzen, wirft noch größere Probleme auf. Unger schlägt ein Verständnis der Lachkultur als einer "Teilkultur" vor, die "vergleichbar ist etwa mit einer Trauerkultur, einer Eßkultur oder auch einer Streit- und Konfliktkultur" (S. 18). Dabei orientiert er sich an der harmonisierenden Lachtheorie des deutschen Philosophen Joachim Ritter, der im Jahre 1940—Datum und geistiger Kontext von Ritters Aufsatz werden mit keinem Wort problematisiert—das Lachen affirmierend auf "die den Menschen je bestimmende Lebensordnung" bezog: Durch Lachen werde ausgedrückt, daß bestimmte Aspekte, die normalerweise aus einer gegebenen Ordnung ausgeschlossen seien, "positiv zu dieser Ordnung dazugehören" (S. 18). Als Ritter seine affirmierende Lachtheorie veröffentlichte, war in Deutschland nur positive Komik zugelassen. Mir schwant, daß zwischen diesem Kontext und Ritters Komiktheorie ein fragwürdiger Zusammenhang besteht. Ein Gegenvorschlag: "Das anarchische Gelächter der Komödie ist Kritik an den Konstrukten des menschlichen Geistes, jenen zumal, die sich mit Pomp und Feierlichkeit garnieren", schreibt Herbert Mainusch (in Fortführung von Gedanken Friedrich Schlegels) im Vorwort eines Essaybandes über die Europaische Komödie . Die neue Göttinger Aufsatzsammlung scheint mir demgegenüber von einem allzu gezähmten und ordnungsbeflissenen Komik- und Komödienbegriff auszugehen. Man möge jetzt bitte nicht ironisch kontern, hierin spiegele sich nun einmal die gebremste "deutsche Lachkultur".

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References

Mainusch, Herbert
Hrsg. 1990Europaische Komödie. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.Google Scholar
Paul, Fritz, Wolfgang Ranke und Brigitte Schultze
Hrsg. 1993Europäische Komôdie im übersetzerischen Transfer. Tübingen: Narr.Google Scholar